Ob etwas intensiv ist oder nicht lässt sich nur durch einen Vergleich feststellen. Anders als bei „extensiv“, was den Vergleich zwischen unterschiedlichen Dingen meint, ist intensiv der Vergleich einer Sache mit sich selbst. Ich vergleiche nicht zwei Farben miteinander, sondern ich vergleiche ein Rot mit demselben Rot in einem anderen Stadium – und halte schließlich eines davon für intensiver.
Es gibt (mindestens) zwei Wege, wie ich Intensität verstehen kann. Die erste wäre „Eidos“, was griechisch ist und soviel heißt wie die ideale Form. Ich kann mir etwas vorstellen in einer idealen Form, in einer Vollendung und messe an dieser Idee das Existierende. Ich kann dann beurteilen, wie intensiv das Existierende dieser idealen Form entspricht. Ich kann mir die ideale Form der Morgendämmerung vorstellen, einen vollendeten Kuss, das perfekte Dilemma oder den allergrößten Schmerz. Dann vergleiche ich dieses Konzept mit dem, was ich erlebe und kann sagen, ob es mehr dem entsprach oder weniger – wie intensiv es war. Diese Idee geht Hand in Hand mit dem Bild der Potenz. Je näher etwas an der Perfektion ist, desto intensiver ist es. Je weiter es davon entfernt ist, desto mehr Potenz hat es, mehr, intensiver, perfekter zu werden.
Ein zweiter Weg, Intensität einzuschätzen ist, dass es gar keine Intensität „in der Welt da draußen“ gibt, sondern nur in mir. Die Welt ist jeden Tag die Welt, ob ich das Licht an Morgen intensiv empfinde liegt nicht am Licht, sondern an mir. „Reine Intensität ist nicht von dieser Welt, sie ist nur das Gefühl [für diese] Welt.“ Das bedeutet, dass je nachdem mit welcher Einstellung, welcher Bewertung, welchem Kontext ich der Welt begegne, desto eher kommt sie mir intensiv oder blass vor. „Dann aber wird die ganze Intensität aus der Welt entfernt und in mir eingeschlossen.“ Ich als Mensch, der die Welt wahrnimmt habe nur in mir selbst die Ressourcen, um etwas Intensives zu empfinden. Meine Haltung, meine Meinung, mein Kontext wird mich etwas als intensiv schön, intensiv schmerzhaft, intensiv euphorisch oder intensiv panisch erleben lassen.
Tristan Garcia (2017): „Das intensive Leben. Eine moderne Obsession.“, Berlin: Suhrkamp: S 48-50, 65-66.