Kulturwissenschaftliches Glaubensbekenntnis oder foucaultsche Geständnispflicht?
Es gibt wohl kaum einen Raum, der sich nicht durch Diversität auszeichnet. Und, wie könnte es anders sein, Diversität findet sich auch in der Wissenschaft. Nicht allein die Forschungsgegenstände, auch die zu Grunde liegenden Annahmen und Ansätze unterscheiden sich. Bevor der allererste Satz einer Studie geschrieben ist oder eine vorläufige Skizze einer neuen Theorie gezeichnet wird, betritt die Denkende bereits ihr geistiges Arbeitszimmer, dass zuvor mit unterschiedlichsten Vorstellungen über die Welt und die Wissenschaft angefüllt wurde. Was Arbeits- und Denk-Gewohnheit ist, wird in seiner Verortung erst deutlich, wenn es sich im interdisziplinären Austausch mit dem „Anderen“ konfrontiert sieht. Da es mir selbstironisch vorkommt, mich zu einer Berufsgruppe zu zählen, die sich das Sammeln von Wissen zur Aufgabe gemacht hat, ohne die Grenzen dieses Vorhabens anzusprechen, beginne ich mit einer Reflektion. Diese fachliche und theoretische Verortung kommt mir das eine Mal wie ein kulturwissenschaftliches Glaubensbekenntnis und das nächste Mal wie die foucaultsche Geständnispflicht vor.
Ich verorte mich in der Kulturwissenschaft (Cultural Studies) als poststrukturalistische, postkoloniale und sozialkonstruktivistische Denktradition seit des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Meine Arbeit hat ihre Basis in der kritischen Diskurstheorie und dem radikalen Konstruktivismus.
Epistemologisch folge ich somit der Annahme, dass Wissen unter der Bedingung von Macht hergestellt wird und sich in politische Konstellationen einfügt. Ich glaube Wissen (und damit einhergehend Wahrheit als Ergebnis von Wahrnehmung von und Reflektion über Wirklichkeit) ist stets kontextuell verhaftet. In der Konsequenz bezweifle ich, dass es außerhalb des verhandelten Wissens im Diskurs ein zugängliches objektives Wissen „da draußen“ gibt. Der Verzicht auf die Kategorien „wahr“ und „falsch“ macht Wissenschaft nicht obsolet, sondern verschiebt ihren Blick auf andere Muster. Ich fokussiere mich auf:
- Die Viabilität; bzw. Gangbarkeit: Auch wenn es nicht die einzig mögliche Wahrheit ist, welche Wahrheit ist für ihre Nutzer eine Lösung bezüglich ihres Anliegens?
- Die Nützlichkeit und Machtstruktur: Unabhängig davon, ob es wahr ist, wem hilft es weiter und wozu? Wer legitimiert was durch die Konstruktion dieser Geschichte? Welche Konsequenzen werden daraus als folgerichtig eingefordert?
- Die soziale Realität: Welches Verhalten hält eine Gruppe von Personen gemessen an ihrem Verhalten und ihrem Selbstdiskurs für angemessen? Welche Annahmen, Werte, Überzeugungen, Gewohnheiten werden geteilt? Gibt es Typen und Vorlagen für Rollen, Situationen, Lebensentscheidungen und woher kommen diese?
- Der populäre Diskurs: Was halten die meisten einer Gruppe für wahr? Auf welchen Sinnzusammenhang hat sich eine Gruppe geeinigt? Welche Ästhetik, Praxis oder Wahrheit findet Anklang und warum?
Ich sehe meine Aufgabe als Wissenschaftlerin in der Beobachtung im Feld, der Reflektion innerhalb meines Fachdiskurses und der Beschreibung für die Mehrheit. Ich forsche also für die Gesellschaft, nicht für die Kollegen. Es handelt sich um eine Bewegung aus dem Feld durch das Fach hindurch in die Welt. Dieses Vorhaben muss aus mehreren Gründen als das Schreiben von Geschichte bezeichnet werden, was vielmehr „Story-Telling“ als „History“ meint. Forschen heißt auch das Konstruieren einer Narration aus der Kontingenz; das Herstellen einer Erzählung oder Erzählweise, wie etwas sein oder wie über etwas gesprochen werden könnte. Zum einen lässt meine bereits erwähnte eigene Eingebundenheit in die Welt gar keine andere Perspektive zu als eine fachgebundene und zudem (inter)subjektive. Zum anderen verlangt das Schreiben über ein Forschungsfeld dessen Rahmung in einen größeren Kontext. Und was ist das Kontextualisieren und die Komparatistik anderes als die Herstellung einer Narration?
Forscher sind so gesehen politisch eingebundene Geschichtenerzähler, die gut darin sind zwischen (empirischen) Bezugspunkten Sinnzusammenhänge (Muster) herzustellen, um insgesamt für eine bestimmte Fragestellung hilfreiche Logiken anzubieten.
Sie unterscheiden sich in diesem Anliegen von anderen Berufsgruppen neben dem Luxus, beruflich über die nötige Zeit zum Denken zu verfügen, in ihrem verfügbaren Instrumentarium an Methoden und Theorien, ihrem Werkzeugkoffer. Meiner sieht folgendermaßen aus: Ich habe meine Grundausbildung in der Religionswissenschaft, Linguistik und Systemik. Methodisch arbeite ich qualitativ empirisch mit den klassischen Arbeitsweisen der Kulturanthropologie. Ich gehe weder mit einer zu beweisenden Hypothese ins Feld (deduktiv), noch schließe ich aus den einzelnen Fällen auf das Allgemeine (induktiv). Vielmehr forsche ich ergebnisoffen mit einem Erkenntnisinteresse im Feld um mögliche Zusammenhänge herauszuarbeiten (abduktiv). Mit anderen Worten: Ich bin möglichst neutral und befremde das scheinbar Normale um es zu abstrahieren. Zudem verwende ich Sozialtheorien der Soziologie und Philosophie. Wenn auch nicht statisch und allumfassend aber dennoch grundlegend sind für mich Diskurs-, System- und Subjekttheoretiker wie Michel Foucault, Judith Butler, Bruno Latour, Erving Goffman, Niklas Luhmann, Jürgen Habermas und Andreas Reckwitz.