Die Philosophie der Angst

Die schlimmste Erfahrung für die frühen Philosophien (Platon, Sokrates, Aristoteles) ist das Verlieren des Mutes bei dem Staunen über das Sein.

Das Seiende (also das was es gibt) steht hier als Orientierungsgebendes im Kontrast zu dem, was nicht ist oder dem was statt dessen sein könnte, dem Chaos. Die Ordnung, die sich durch das ergibt, was ist, empfindet Aristoteles als sicherheitsgebend. Die Überlegung, dass diese Ordnung wegfällt oder infrage gestellt wird durch das was nicht ist oder nicht eindeutig ist, wiederum bedroht die „festen Prinzipien“

In dem Staunen über das Seiende (was Angehrn zum Ursprung der Philosophie erklärt) kann aber nur vollzogen werden, wenn das Seiende nicht als selbstverständlich gesetzt wird, sondern als etwas, über das gestaunt werden kann. Das Motiv des „es könnte auch anders sein“ ist in der Geburtsstunde der Philosophie bereits angelegt. In der Reflektion über dieses „es könnte auch anders sein“ werden die festen Prinzipien, die Annahmen über die Welt, die Festigkeit und die Stabilität unserer Welt infrage gestellt. Wir werden mit der Angsterfahrung konfrontiert, ohne Halt in das Bodenlose zu stürzen.

Seit jeher ist das Gefühl der Angst daher mit dem Gefühl des Schwindels in Verbindung gebracht worden, sowohl in der Philosophie als auch in der Medizin. Wer auf „shaky ground“ steht, den Boden unter den Füßen verliert und nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, der hat Angst. Und wer Angst hat, der verliert den klaren Blick für das Umfeld. Es entsteht eine „blinde Angst“.

Angehrn bezeichnet dies als das „Gefühl des Bedrohtseins durch die Instabilität der Ordnung und das beinahe obsessive Bedürfnis nach Sicherheit und Halt“ (2017:15).

Jetzt haben die Philosophen – und nicht nur die – verschiedene Strategien für den Umgang mit Kontingenz, also der Konfrontation mit der Unsicherheit, dass alles auch ganz anders sein könnte, gefunden.

  • Unsicherheit und die daraus entstehende Bedrohung verringern durch die Steigerung der eigenen Macht. Wer diese Strategie anstrebt, versucht durch das Anhäufen von Geld und Einfluss all das, was auch anders sein könnte zu beherrschen. Dieser Weg unterliegt dem Schein, dass wir, wenn wir nur stark genug sind, die Geschicke der Welt endgültig lenken könnten. In dieser Sicherheitslogik werden Schutzsysteme aufgewartet, die das, was es einst zu beschützen galt, bald völlig aus den Augen verliert und zum Selbstzweck degeneriert. Noch dazu muss die Strategie darin scheitern, dass selbst mit allergrößter Macht und Vorsicht dennoch nicht die Zukunft bis ins letzte bestimmbar wird.
  • Den Raum der Möglichkeiten fixieren. Diese Strategie versucht das was sein kann dadurch zu limitieren, indem beschlossen wird, was sein darf. Unvorhergesehenes soll unter Kontrolle gebracht werden, in dem Anderssein als Option ausgeschlossen wird. Das, was in der Zukunft liegt, wird in diesem Versuch so behandelt, als wäre es bereits Gegenwart. Das was jetzt ist, wird zwangsweise das, was in Zukunft sein wird. Unnötig zu erwähnen, dass es sich hierbei um eine Illusion handelt.

Schließlich bietet Angehrn noch eine dritte Option an:

  • Sicheinlassen auf Offenheit und Unbestimmtheit. In diesem Fall akzeptiert der Mensch die „für menschliches Leben konstitutiven Unsicherheiten“ (2017: 19). Diese Strategie basiert auf der Überlegung: Was ich nicht ändern kann, muss ich lernen als Qualität für mich und mein Leben zu nutzen. So fordert der französische Philosoph Foucault den „Mut zur Wahrheit“ und meint damit nichts weniger als den Mut auszuhalten, dass die Welt weder-noch ist. Dass sie nicht gut oder schlecht ist, nicht nur das was ist, sondern auch das was sonst noch sein könnte. In dem Aushalten von dieser Ambivalenz, in dem „dazwischen“ liegt letztendlich der eigentliche Weg der Sicherheit. Es ist die Sicherheit, die nicht versucht herbei-zu-konstruieren und hin-zu-manipulieren, was sein soll, sondern die Sicherheit, die sich aus der Gelassenheit ergibt zu nehmen, was da ist und auszuhalten, dass es sich wandeln wird.

 

Angehrn, Emil (2017): Angst als Grundproblem der Philosophie. In: Stefano Micali und Thomas Fuchs (Hg.): Angst. Philosophische, psychopathologische und psychoanalytische Zugänge. Freiburg, München: Verlag Karl Alber (6), S. 11–27.