Was ist das Böse? Das ist sicherlich eine politische, philosophische, moralische und theologische Frage. Es ist aber auch eine Frage, auf die Kulturwissenschaftler eine Menge Antworten gefunden haben. Eng damit verknüpft ist schließlich auch die Neugierde, warum es eine solche Faszination, eine Anziehungskraft ausübt, sei es als Nachrichtenmeldung oder sei es als Thema in der Popkultur.
Grundsätzlich betrachtet die Kulturwissenschaft Kategorien wie „Gut“ und „Böse“ als diskursive Begriffe, die einen sozialen Kontext haben, aus dem sie entstanden sind und die fluide, also wechselhaft und veränderbar sind in ihrer Bedeutsamkeit. In seinem Sammelband „Sympathy for the Devil“ (2009) hat Albert Kümmel-Schnur als Herausgeber Essays zusammengestellt, die dieser Faszination in der Popkultur, genauer gesagt bei den Rolling Stones und ihrem gleichnamigen Song, auf den Grund gehen.
Eine Überlegung, die der niederländische Soziologe Willem van Reijen anstellt, ist dass die „Bösen“ meist Grenzgänger sind „auf der Scheidelinie zwischen Gebotenem und Verbotenem“. Sie faszinieren also deshalb, weil sie die Grenze sichtbar machen von dem, „was man machen darf“ und was nicht. Sie zeigen uns also, wo wir in unserem moralischen System anfangen und wo wir aufhören. Das „Böse“ als Grenzstein und Wegmarkierung, dient also zur Orientierung.
Als Grenzgänger stehen die „Bösen“ aber auch noch in einer anderen Funktion. Sie zeigen auf, was auf der anderen Seite, jenseits von dem Bekannten, noch existiert, noch möglich ist. Sie eröffnen einen Horizont für Möglichkeiten, den wir vorher eventuell nicht gesehen haben. Kulturhistorisch gesehen war auch Rock ´n ´Roll zunächst „böse“, ebenso wie Homosexualität, arbeitende Frauen, Hotpants und Knutschen in der Öffentlichkeit.
Albert Kümmel-Schnur (Hrsg.): „Sympathy for the Devil“, Wilhelm Fink Verlag, http://www.deutschlandfunk.de/faszination-des-boesen.700.de.html?dram:article_id=84192