Bei meiner Forschung zu der Motivation von IS-Rekruten in den Islamischen Staat zu migrieren ist mir aufgefallen, dass im Diskurs europäischer und amerikanischer Experten immer wieder die Formulierung gefallen ist, die jungen Männer und Frauen haben sich von den Islamisten verführen lassen. Diese Formulierung wurde zweifach abwertend verwendet: Zum einen wurden die verführten IS-Rekruten als naiv oder willensschwach abgewertet (anstatt reflektiert, rational und weitsichtig zu sein) und zum anderen wurde die verführenden Islamisten als manipulativ und unlauter in den Methoden der Anwerbung von Rekruten abgewertet (anstatt offen in Erscheinung zu treten, die eigenen Absichten wahrheitsgemäß zu schildern etc).
Für diejenigen, die diese Entscheidung zur Auswanderung als Verführung bezeichnen ergeben sich einige Konsequenzen. Die Verführten werden als weniger ernstzunehmend bewertet, was die Bedeutsamkeit ihrer Entscheidung einschränkt. Wer „nur“ verführt wurde, der ist schlimmstenfalls willensschwach. Jedenfalls hat er keine bewusste Entscheidung getroffen, sein Urteil sich einer anderen Führung, einer Ver-Führung anzuschließen muss kaum berücksichtigt werden. Die Schuld liegt somit nicht bei den Führenden, beim eigenen System, sondern es ist vielmehr eine persönliche Schwäche, ein Fehler der IS-Migranten. Verführung ist somit eine Strategie der Entlastung, der Ent-Schuldigung.